Blaukopf-Lippfische sind zu Beginn ihres Lebens geschlechtslos. Ob sie Männchen oder Weibchen werden entscheiden sie auch nicht nach ihren persönlichen Interessen, sondern es hängt davon ab, wie hoch die Anzahl an Männchen und Weibchen zu diesem Zeitpunkt im Schwarm ist. Und sollte im Laufe des Fischlebens das optimale Verhältnis im Schwarm nicht mehr passen, so wechselt er oder sie sein oder ihr Geschlecht. Damit einhergehen markante Änderungen der Körpergröße, der Farbe und des Verhaltens. So weit so gut.
Frauen sind „graduelle Abweichung vom männlichen Grundtypus“
Die Menschen hingegen sahen sich lange Zeit als Art, von denen es Männchen und Weibchen gibt – festgelegt durch die Verschmelzung der Eizelle mit dem Spermium, und damit basta. Das heute vorherrschende Zweigeschlechtermodell entwickelte sich übrigens erst seit dem 18. Jahrhundert. Davor galten Frauen als „graduelle Abweichung von dem männlichen Grundtypus“ (nach Büchler und Cottier (2005, S.118)). Da sind wir heute Gott sei Dank schon ein bisschen weiter!
Chromosomenlotto
Doch mit einer Aufteilung in männlich-weiblich, wie wir das für ein friedliches gesellschaftliches Miteinander, in dem die Rollen klar verteilt sind, praktisch wäre, ist es auch beim Menschen nix. Wie so oft in der Biologie gibt es auch hier nicht nur schwarz und weiß, sondern unzählige Grautöne. Allen voran Hebammen wissen, dass nicht bei jedem Neugeborenen klar gesagt werden kann, ob es sich – rein äußerlich – um ein Mädchen oder einen Jungen handelt. In viel mehr Fällen scheint aber äußerlich alles eindeutig zu sein, innerlich ist es das aber nicht. Damit spiele ich nicht (nur) auf das Gefühlsleben an und die Menschen, die sich im falschen Körper gefangen fühlen. Es gibt tatsächlich Fälle, in denen die Zuordnung von XX und XY nicht stimmt. Dazwischen gibt es alle vorstellbaren Mischformen. Wissenschaftler haben inzwischen auch herausgefunden, dass nicht alle Zellen den gleichen Chromosomensatz haben – wie es unser biologisches Grundverständnis ist. Wissenschaftler schätzen, dass bei jedem 100. eine „Unstimmigkeit“ zwischen chromosomalen oder äußerlichen Geschlecht vorliegt.
Problemfeld Sport
Bis auf die Eintragung im Pass könnte es für unseren Umgang miteinander ganz egal sein, wie das Chromosomenlotto in unseren Zellen entschieden hat. Doch in Strukturen, wo es um Chancengleichheit geht, wird es problematisch. Im Sport, besonders im Hochleistungssport ist Intersexualität nicht vorgesehen. Der Wunsch, die Grundbedingungen für alle Sportlerinnen und Sportler vergleichbar zu machen, führte in der Vergangenheit zu erniedrigenden körperlichen Begutachtungen von Frauen. Doch auch wenn das nackte Schaulaufen vor einer Kommission glücklicherweise der Vergangenheit angehört, so ist noch immer unklar, wie mit Abweichungen von der „Norm“ umgegangen werden soll. Doch kann man noch von einer Abweichung bzw. einer Norm sprechen, wenn ein Prozent der Menschen betroffen ist?
In meinem Artikel „Intersexualität: Männlich, weiblich, neutrum?„, erschienen im September 2015 in der Deutschen Zeitschrift für Sportmedizin, habe ich mich ausführlich mit diesem Thema befasst. Zum ganzen Artikel bitte hier entlang.
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